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Wohnungsnot und steigende Mieten: Bundesregierung muss endlich handeln

Grundrecht auf angemessenes und bezahlbares Wohnen einführen

Mieterbund fordert radikale Mietrechtsreform, Priorität für den Neubau bezahlbarer Mietwohnungen und sozialverträglichen Klimaschutz

„Wir brauchen eine Neuausrichtung in der Wohnungs- und Mietenpolitik. Der Erkenntnis der Regierungsparteien zu Beginn der Legislaturperiode: ‚Wohnen und Mieten sei die soziale Frage unserer Zeit‘, müssen endlich Taten folgen“, forderte der Präsident des Deutschen Mieterbundes (DMB), Dr. Franz-Georg Rips, auf einer Pressekonferenz in Berlin. „Bloße Parolen und Lippenbekenntnisse, wie ‚bauen, bauen, bauen‘, mietrechtliche Kleinstreformen zur Mietpreisbremse und zur Modernisierung reichen nicht aus. Tausende von Mieterinnen und Mietern demonstrieren vielerorts gegen explodierende Mieten, wegen zu weniger Sozial- und bezahlbarer Mietwohnungen, gegen ein System, das klimapolitisch notwendige Modernisierungsmaßnahmen zum Preistreiber Nr. 1 macht. Rufe nach Vergesellschaftung, Enteignung und Mietenstopps werden immer lauter. Die Bundesregierung muss handeln, ansonsten droht der Zerfall der Gesellschaft, insbesondere in den Großstädten. Die zu begrüßende Wohngelderhöhung zum 1.1.2020, von der etwa 660.000 Haushalte profitieren können, reicht nicht aus. Es ist fünf vor zwölf.“

Grundrecht auf angemessenes und bezahlbares Wohnen einführen

Anders als in einer Reihe von Landesverfassungen ist das Recht auf Wohnen im Grundgesetz nicht ausdrücklich genannt. „Wir schlagen deshalb eine Erweiterung des Grundrechtskatalogs in unserer Verfassung vor. Die Einführung eines Grundrechts auf angemessenes und bezahlbares Wohnen, zum Beispiel in einem neuen Artikel 14 a Grundgesetz. Ein derartiges Grundrecht würde den Wertecharakter unserer Verfassung verstärken und den Sozialstaatsgedanken verdeutlichen. Ein Grundrecht auf angemessenes und bezahlbares Wohnen hätte auch eine starke Ausstrahlungswirkung auf gesetzliche Neuregelungen zur Bekämpfung der Wohnungsnot und steigender Mieten“, erklärte Mieterbund-Präsident Rips.

Wohnungsbau: Priorität für den Neubau bezahlbarer Mietwohnungen

„Die einfache Losung „bauen, bauen, bauen“ wird den wohnungs- und mietenpolitischen Problemen bei weitem nicht gerecht. Es müssen auch die richtigen, das heißt die tatsächlich benötigten Wohnungen an den richtigen Standorten, also vor allem in den Großstädten und Ballungsgebieten, gebaut werden“, erklärte der Mieterbund-Präsident. „Wir brauchen in erster Linie bezahlbare Mietwohnungen und mehr Sozialwohnungen, damit der Neubau tatsächlich mietpreisdämpfend wirken kann und auch Normalverdiener wieder eine Wohnung in der Stadt anmieten und bezahlen können. Der Prozess der Verdrängung einkommensschwächerer Haushalte an die Ränder der Stadt und darüber hinaus muss gestoppt werden.“

2017 wurden insgesamt 284.816 neue Wohnungen in Deutschland gebaut. 2018 lag die Zahl der Fertigstellungen mit 285.914 nur geringfügig höher. Damit blieb der Wohnungsneubau rund 25 Prozent hinter dem tatsächlichen Wohnungsbedarf und der Zielsetzung der Bundesregierung - 375.000 neue Wohnungen pro Jahr - zurück.

Hinzu kommt, dass am tatsächlichen Wohnungsbedarf weitgehend vorbeigebaut wird. Von den 285.914 fertiggestellten Wohnungen entfallen nur 134.084 Wohnungen auf den Geschosswohnungsbau. Davon waren 64.649 Wohnungen - im Zweifel - teure Eigentumswohnungen. Klassische Mietwohnungen wurden im letzten Jahr lediglich 69.435 neu gebaut.

„Das ist allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein. Benötigt werden aus unserer Sicht 80.000 neue Sozialmietwohnungen pro Jahr und 120.000 vor allem bezahlbare Mietwohnungen“, sagte Dr. Franz-Georg Rips. „Ein schlüssiges Gesamtkonzept der Bundesregierung, wie der notwendige Mietwohnungsneubau anzukurbeln ist, fehlt bisher. Milliarden-Ausgaben für ein Baukindergeld führen jedenfalls nicht zu mehr Wohnungsneubau, lösen allenfalls in ländlichen Regionen Mitnahmeeffekte aus und befeuern in den Städten den Kauf von Bestands-, das heißt Eigentumswohnungen. Stattdessen muss jetzt der Neubau bezahlbarer Mietwohnungen Priorität haben. Wir schlagen folgende Eckpunkte vor“:

  • 80.000 Sozialwohnungen - statt wie zuletzt etwa 26.000 - müssen pro Jahr neu gebaut werden, mit dauerhaften, zumindest möglichst langfristigen Preisbindungen.       
    Hierzu müssen Bund und Länder deutlich höhere Finanzmittel zur Verfügung stellen als bisher. Eine Verdreifachung der Fördermittel ist notwendig. Positiv ist, dass durch die erfolgte Grundgesetzänderung der Bund die Länder auch nach 2019 mit Finanzmitteln für die soziale Wohnraumförderung unterstützen kann. Die bisher eingeplante 1 Milliarde Euro pro Jahr zuzüglich 500 Millionen Euro aus einer Umsatzsteuerumverteilung stellen aber keine Erhöhung der Finanzmittel dar, sondern entsprechen dem bisherigen Bundesanteil von 1,5 Milliarden Euro pro Jahr. Vor allem kritisieren wir, dass die Länder nicht in gleicher Weise wie der Bund in die Pflicht genommen werden.
  • 120.000 Mietwohnungen zu Preisen, die auch für Normalverdiener leistbar sind, müssen pro Jahr neu gebaut werden.               
    Der Bund kann hier mit steuerlichen Förderinstrumenten ein Zeichen für den Mietwohnungsbau setzen. Voraussetzung ist aber, dass für die steuerlich geförderten Wohnungen eine Mietobergrenze festgelegt wird.
  • Bezahlbare Mietwohnungen werden in erster Linie von kommunalen Unternehmen, Genossenschaften oder anderen gemeinwohlorientierten Unternehmen gebaut. Als möglicher Träger einer neuen Gemeinnützigkeit sind sie zu stärken und zu fördern. Mittelfristig muss der Anteil dauerhaft gebundener Wohnungen auf 30 Prozent erhöht werden. Hierzu muss auch das Vorkaufsrecht der Gemeinde oder die Möglichkeit, Immobilien anzukaufen, gestärkt werden.
  • Wichtigste Voraussetzung für eine Ausweitung des Wohnungsangebots und für den Bau neuer bezahlbarer Mietwohnungen ist die Verfügbarkeit von Bauland. Gleichzeitig müssen Bodenspekulation und inflationäre Preissteigerungen verhindert werden:   
    • Bei der Bauleitplanung ist als zusätzliches Ziel die Schaffung und Erhaltung bezahlbaren Wohnraums in das Baugesetzbuch aufzunehmen. Diese Zielsetzung muss Einfluss nehmen auf die Ausgestaltung städtebaulicher Verträge, die Ausübung des allgemeinen Vorkaufsrechts, die Enteignung, die Maßnahmen der sozialen Stadt, die Erhaltungssatzung, die Ausübung von Baugeboten bzw. Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot und die Verkehrswertgestaltung.   
    • Bauvorhaben im so genannten Innenbereich, für die kein Bebauungsplan vorliegt, müssen für zulässig erklärt werden können, wenn bezahlbarer Wohnraum geschaffen oder erhalten werden soll.  
    • Wertsteigerungen eines Grundstücks, das heißt leistungslose Gewinne aufgrund von Planungen der Gemeinde, müssen über einen Planwertausgleich von der Gemeinde abgeschöpft werden können.  
    • Grundstücke von Bund und Ländern bzw. von bundes- oder landeseigenen Unternehmen sollen vorrangig an Kommunen vergeben werden, und zwar deutlich unter dem Verkehrswert, soweit die Flächen für den Bau von Sozialwohnungen bzw. bezahlbaren Mietwohnungen genutzt werden.
    • Die Kommunen sollen Bauland grundsätzlich nur in Erbpacht vergeben, vor allem an kommunale bzw. gemeinwohlorientierte Unternehmen.       
    • Brachliegendes Bauland muss verstärkt über Baugebote aktiviert werden. Dabei muss sich ein Baugebot auf ein ganzes Baugebiet erstecken können.       

Radikale Mietrechtsreform erforderlich

Bis der Wohnungsneubau zu einer spürbaren Entlastung auf den städtischen Wohnungsmärkten führen kann, werden Jahre vergehen. Bis dahin brauchen wir mietrechtliche oder auch preisrechtliche Regelungen, die Mieter vor weiteren Mieterhöhungen, zu hohen Wohnkostenbelastungen sowie vor Verdrängung und Kündigungen schützen“, erklärte der Mieterbund-Präsident. „Sowohl bei Wiedervermietungen und Mieterhöhungen auf die Vergleichsmiete als auch nach Modernisierungen sind die Mieterhöhungsspielräume deutlich einzuschränken. Wir fordern“:

  • Die Mietpreisbremse, das heißt die Vorschriften zur Begrenzung der Wiedervermietungsmieten sind zu entfristen und sie müssen bundesweit gelten. Ausnahmen, wie zum Beispiel die Vormietenregelung, sind abzuschaffen. Verstöße gegen die Mietpreisbremse müssen über eine gesonderte Bußgeldvorschrift sanktioniert werden. Die Vorschläge aus dem Bundesjustizministerium, die Mietpreisbremse um 5 Jahre zu verlängern, die Begründungsvoraussetzungen für die Landesverordnungen abzusenken und die Vermieterverpflichtung einzuführen, zu Unrecht erhaltene Mieten von Beginn des Mietverhältnisses an zurückzuzahlen, weisen in die richtige Richtung, gehen aber noch nicht weit genug. Das gilt auch für den Vorschlag, Vermieterforderungen, die mehr als 20 Prozent über der Vergleichsmiete liegen, insoweit für unwirksam zu erklären mit der Folge, dass in diesen Fällen nur die ortsübliche Vergleichsmiete gefordert werden darf.
  • Die ortsübliche Vergleichsmiete muss alle, zumindest aber die Vertragsabschlüsse der letzten 10 Jahre berücksichtigen. Die Rolle der Mietspiegel muss gestärkt werden. Regelungen zur rechtlichen Ausgestaltung eines Mietspiegels sind erforderlich. Die Mieterhöhungsspielräume sind über eine Absenkung der Kappungsgrenze auf 6 Prozent in 3 Jahren zu reduzieren. Das wäre ein wirksamer Beitrag gegen den Mietenwahnsinn.
  • Modernisierungsmieterhöhungen sollen nur noch im Rahmen der ortsüblichen Vergleichsmiete zulässig sein. Die derzeitige Regelung, wonach 8 Prozent der Modernisierungskosten auf die Jahresmiete aufgeschlagen werden dürfen, ist abzuschaffen. Für energetische Modernisierungsmaßnahmen ist die Umlage in einem ersten Schritt auf 4 Prozent zu reduzieren, wobei Mieterhöhungen maximal 1,50 Euro pro Quadratmeter betragen dürfen.
  • Zu prüfen ist, ob und inwieweit auf öffentlich-rechtlichen Grundlagen fußende landesrechtliche Regelungen Mieterhöhungen wirksam stoppen können.
  • Die Grundsteuer darf als Eigentümersteuer nicht länger über die Betriebskostenabrechnung auf die Mieter umgelegt werden.
  • Die Kündigung eines vertragstreuen Mieters darf nur bei Eigenbedarf oder Hinderung angemessener wirtschaftlicher Verwertung möglich sein. Eigenbedarf muss voraussetzen, dass der Vermieter selbst bzw. ein naher Familienangehöriger die Wohnung dauerhaft zu Wohnzwecken nutzen will. Bei einer Kündigung wegen Zahlungsverzugs muss die Nachzahlung der offenstehenden Mieten innerhalb einer Schonfrist nicht nur die fristlose, sondern auch die ordentliche Kündigung unwirksam machen.

Klimaschutzmaßnahmen müssen sozialverträglich sein

„Klimaschutz muss auch im Gebäudebereich hohe politische Priorität haben. Dabei gilt es, den tatsächlichen oder vermeintlichen Zielkonflikt zwischen „bezahlbarem Wohnen“ und den Klimaschutzzielen aufzulösen. Eine Gebäudekommission, wie sie ursprünglich von der Bundesregierung geplant war, wäre die geeignete Plattform, um Maßnahmen zu erarbeiten, die die Interessen des Umweltschutzes, der Investoren und der Mieter und Verbraucher gleichermaßen berücksichtigen“, sagte Mieterbund-Präsident Dr. Franz-Georg Rips. „Nachdem das Ziel, den Treibhausgasausstoß bis 2020 um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu reduzieren, eindeutig gescheitert ist, wird es jetzt umso schwerer, die Ziele für 2030 bzw. 2050 mit einem nahezu klimaneutralen Gebäudebestand zu erreichen. Wir müssen jetzt endlich konkret handeln. Wir stehen für die Mitarbeit in einer Gebäudekommission nach wie vor zur Verfügung und schlagen folgende konkrete Maßnahmen vor“:

  • Der Einstieg in eine CO2-Bepreisung ist notwendig, um den Einsatz fossiler Energie zurückzudrängen. Voraussetzung ist aber eine sozialverträgliche Ausgestaltung, die nicht zu einer generellen Mehrbelastung für die Verbraucher führt. So können Abgaben, Umlagen und Entgelte für Strom im Gegenzug abgesenkt bzw. die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung über eine Pro-Kopf-Prämie rückerstattet werden. Für den Mietwohnungsbereich ist eine Sonderregelung erforderlich. Hier darf der CO2-Preisaufschlag nicht über die Heizkostenabrechnung auf die Mieter abgewälzt werden. Die CO2-Bepreisung hat nur dann die gewünschte Lenkungswirkung, wenn sie auch der über den Einsatz des Energieträgers zu entscheidende Investor zahlen muss.
  • Das Klimaschutzgesetz und im Gebäudebereich das Gebäudeenergiegesetz müssen verabschiedet werden. Notwendig sind beim Gebäudeenergiegesetz eindeutige Festlegungen für den Wohnungsneubau. Ordnungsrechtliche Vorgaben und öffentliche Förderungen sind aufeinander abzustimmen. Auch Maßnahmen unterhalb einer kompletten Vollsanierung müssen gleichberechtigt gefördert werden können. Gebäudeübergreifende Quartierslösungen sind zu stärken. Effiziente Energieversorgungssysteme auf Basis erneuerbarer Energien sind zu unterstützen.
  • Die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung für selbstnutzende Eigentümer ist endlich einzuführen.
  • Im Ergebnis müssen die Kosten energetischer Modernisierungsmaßnahmen im Wohnungsbestand zwischen Mietern, Vermietern und Staat aufgeteilt, das heißt letztlich gedrittelt werden. Dazu ist ein deutlicher Anstieg der öffentlichen Fördermittel notwendig. Trotz der Mietrechtsreform vom 1. Januar 2019 kann der Vermieter heute immer noch 8 Prozent der Modernisierungskosten auf die Jahresmiete aufschlagen, höchstens 3 Euro bzw. 2 Euro pro Quadratmeter, wenn die bisherige Miete nicht mehr als 7 Euro/qm  betrug. Dies führt letztlich immer noch zu Mieterhöhungen von regelmäßig 25 bis 40 Prozent, die von vielen Haushalten nicht bezahlt werden können. Deshalb ist zunächst die bisherige Modernisierungsumlage von 8 Prozent auf 4 Prozent abzusenken. Damit Vermieter ihre Modernisierungsaktivitäten nicht deutlich zurückfahren, sollen sie einen Ausgleich über entsprechend höhere öffentliche Fördermittel erhalten.

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