Bundesweiter Mietenstopp-Gipfel in Bochum
Wohnraumkrise erfordert schnelles Handeln
Vertreter*innen von lokalen Mieter-Initiativen aus ganz Deutschland und großen Verbänden wie dem Deutschen Mieterbund, dem Deutschen Gewerkschaftsbund und dem Paritätischen Gesamtverband haben am Wochenende in Bochum beim zweiten bundesweiten Mietenstopp-Gipfel Wege aus der Wohnraumkrise diskutiert. Sie waren sich einig: „Die Lage für viele Menschen in Deutschland ist dramatisch: Sie haben Angst um ihr Zuhause“, sagt Matthias Weinzierl, Sprecher der Kampagne Mietenstopp. „Die Bundesregierung muss endlich Lösungen für die extremen Probleme auf dem Wohnungsmarkt finden. Dabei muss die öffentliche Hand viel stärker aktiv werden und darf den Markt nicht überwiegend den Privaten überlassen.“ Eine erste, schnelle Hilfsmaßnahme wäre aus Sicht der Teilnehmer*innen des Gipfels ein Mietenstopp für sechs Jahre. Also ein Einfrieren der Mieten in stark angespannten Wohnungsmärkten. Die Mietenstopper*innen kündigten einen Aktionstag im Herbst an. Matthias Weinzierl: „Die Bewegung der Mieter*innen sieht sich als Teil der Zivilgesellschaft in der Verantwortung, die Frage nach dauerhaft bezahlbarem Wohnraum zum zentralen Thema der sozialen Kämpfe der nächsten Jahre zu machen.“
Bei einer Podiumsdiskussion im Kulturzentrum Bahnhof Langendreer am Freitagabend zum Thema "Faire Mieten - Fehlanzeige! Wie verhindern wir den System-Kollaps?" diskutierten Cansel Kiziltepe (Parl. Staatssekretärin im Bundesbauministerium), Elke Schmidt-Sawatzki (Landesvorsitzende NRW und stellv. Bundesvorsitzende des Paritätischen Gesamtverbandes), Caren Lay (Mitglied des Bundestages für die LINKE), Lukas Siebenkotten (Präsident Deutscher Mieterbund), Andrej Holm (Humboldt-Universität zu Berlin) und Steven Böhmer (Krankenhausbewegung „Notruf NRW“).
„Wohnen ist ein Menschenrecht, das ist etwas ganz Elementares“, betonte Elke Schmidt-Sawatzki vom Paritätischen Gesamtverband. „Hohe Mieten werden vielerorts zum echten Armutsrisiko.“ Wohnungspolitik müsse die Bedürfnisse aller Menschen im Mittelpunkt haben. Mieterbund-Präsident Lukas Siebenkotten appellierte an SPD und Grüne, sich in der Bundesregierung gegen die FDP in Sachen Mieterschutz und Mietenstopp stärker durchzusetzen. „Was den Koalitionsvertrag betrifft, waren wir in diesem Feld sehr enttäuscht. Wir hatten sehr auf SPD und Grüne gesetzt, dass sie es schaffen, wenigstens eine erkennbare Reduzierung der Mieterhöhungsmöglichkeiten im Bestand durchzusetzen.“ Die beiden Parteien müssten nun in Sachen Schutz für Mieter*innen an einem Strang ziehen. Und beim geplanten Bau von 400.000 neuen Wohnungen im Jahr vor allem die 100.000 öffentlich geförderten Wohnungen im Blick haben. Es müsse vor allem für diejenigen gebaut werden, die wenig Geld hätten, so Siebenkotten. Cansel Kiziltepe (SPD) aus dem neuen Ministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen betonte, sie setze stark auf die neue Wohngemeinnützigkeit, die im Koalitionsvertrag vereinbart sei. Der Anteil an städtischen und genossenschaftlichen Wohnungen müsse erhöht werden. Außerdem sei es wichtig, dass die Kommunen wieder ein rechtssicheres Vorkaufsrecht bekämen. Das Bundesverwaltungsgericht hatte das Instrument im Herbst weitgehend gekippt. Das Vorkaufsrecht hatte den Städten und Gemeinden in der Vergangenheit geholfen, Verdrängung von Mieter*innen zu verhindern. „Das Instrument war sehr erfolgreich. Wir arbeiten mit Hochdruck an einer neuen Regelung“, so Kiziltepe. Für eine grundsätzliche Zeitenwende in der Wohnungs- und Mietpolitik plädierte der Berliner Stadtsoziologe Andrej Holm. „Die durchschnittliche Miete ist für ein unterdurchschnittliches Einkommen viel zu teuer“, sagte er. Der Staat sei in der Pflicht. Einerseits müsse die öffentliche Hand den Markt regulieren, andererseits selbst als Anbieter von Wohnraum aktiv werden. Der Ist-Zustand könne so nicht bestehen bleiben, denn: „Die einen werden durch die Art und Weise, wie Wohnen organisiert wird, immer reicher. Die anderen müssen einen immer größeren Teil ihres Einkommens für die Miete ausgeben.“ Als „unterlassene Hilfeleistung“ beschrieb Caren Lay von der Linken die deutsche Wohnungspolitik. „Wie wäre es mit einem Mietenstopp?“, fragte sie. So sei die Entwicklung der Mieten aufzuhalten, „ohne irgendeine gesetzliche Begrenzung des Mietenanstiegs wird es nicht gehen“. Außerdem müsse Spekulation mit Wohnraum gestoppt und wieder ein rechtssicheres Vorkaufsrecht eingeführt werden. Steven Böhmer von der Krankenhausbewegung „Notruf NRW“ legte dar, wie schwierig die Lage für Menschen sei, die in der Pflege arbeiten. Die Arbeitsbedingungen seien schlecht, gleichzeitig zwinge der Mietmarkt viele Beschäftigte in der Pflege, überteuerte Mieten zu bezahlen. Dies, weil sie etwa wegen Rufbereitschaften in der Nähe der Krankenhäuser wohnen müssten. „Gesellschaftliche Probleme greifen alle ineinander: Das fängt bei der Miete an, geht über Steuerflucht und endet im Krankenhaus“, so Böhmer.
Am Samstag arbeiteten Teilnehmer*innen des Mietenstopp-Gipfels an verschiedenen Themen wie Bodenrecht, neue Wohngemeinnützigkeit und Zukunft des Wohnens. Außerdem besuchten sie die Kundgebung des „Aktionsbündnis Vonovia-Protest 2022“ in der Bochumer Innenstadt. Anlass für die Demonstration: die anstehende Hauptversammlung von Deutschlands größtem Wohnungskonzern am 29. April in Bochum. Am Sonntag tauschten sich lokale Mieter*innen-Initiativen auf dem Podium über das Thema „Wohnen in NRW nach der Landtagswahl am 15. Mai: Konkrete Ansätze für eine neue Wohnpolitik“ aus. Es diskutierten Horst Kraft (Bündnis für bezahlbaren Wohnraum, Düsseldorf), Kalle Gerigk (Recht auf Stadt, Köln) und André Juffern (Landesgeschäftsführer des Deutschen Mieterbunds NRW).
Die beiden Podiumsdiskussionen und das Fazit zum zweiten bundesweiten Mietenstoppgipfel finden Sie auf unserem Youtube-Kanal: https://www.youtube.com/channel/UCL6QEF7qz1f-RsDVDLskE5w
Aus dem ersten Mietenstopp-Gipfel in Nürnberg im Herbst 2020 war die Kampagne Mietenstopp als zivilgesellschaftliches, überparteiliches Bündnis hervorgegangen. Beim zweiten Mietenstopp-Gipfel im Kulturzentrum Bahnhof Langendreer in Bochum beschäftigte sich die Kampagne nun erneut mit zentralen Fragen der Mietenproblematik.